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#mustsee 4

 

Die Galerie Ursula Walter reagiert auf die Lage der derzeit unzugänglichen Kunsträume: Sie geht nach Draußen und bespielt mit dem Projekt #mustsee 1-8 eine nahegelegene Werbesäule. Seit Januar an dreh(t)en sich dort statt Reklamebotschaften die Werke von Künstlerinnen wie Käthe Kollwitz (feat. by Jochen Stankowski) Ulrike Grossarth, Victoria Lomasko, Isabelle Krieg...

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Britta Bogers

14.4.-11.5.2021

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Beide Phänomene stammen aus dem späten 19. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Industrialisierung und Urbanisierung. Das Jahrhundert, als sich der städtische Raum als Allgemeingut etablierte und als sich Konsum und Kapital visuell verbündeten. Der Siegeszug der Litfaßsäule als Informations- und Werbeträger begann 1854 in Berlin, jener von öffentlichen Spielautomaten gut dreißig Jahre später in Brooklyn. Zwar sind feststehende Plakatzylinder wie auch die mechanisch bedienbare Walzenmaschine in unseren Breiten fast ausgestorben, leben aber als nostalgisch-museale Reminiszenzen und als digital bzw. technologisch aufgepeppte Wiedergänger fort.

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Diese oder ähnliche Assoziationen müssen Britta Bogers bewegt haben, als sie die Werbesäule auf dem Neustädter Markt als Bildträger in Augenschein nahm. In der Rotation von je drei vertikalen Segmenten glaubte sie, das spielerische Versprechen der „einarmigen Banditen“ zu erkennen – kommen drei gleichartige Symbole übereinander zum Stillstand, so winkt ein Gewinn. Natürlich erlauben weder Britta Bogers' konzeptuelle Energie noch die Konstruktion der Säule eine so simple Analogie. Die identischen Drillinge werden sich niemals gleichzeitig treffen – obwohl sie je dreifach auftauchen. Damit jedoch nicht genug Verweigerung: Anders als beim Informationsauftrag der Säule (heute wie einst) und bei der Obstsymbolik (Kirsche, Zitrone, Pflaume) der Glücksbanditen bieten Bogers Piktogramme keinerlei Wiedererkennungswert. Ja, es handelt sich nicht einmal um Piktogramme im strengen Sinne, ihnen fehlt die Indexfunktion.     

 

Diese Eigenschaft und auch ihren geometrischen Aufbau teilen die Nicht-Zeichen mit vielen Werken der Konkreten Kunst. Zudem arbeitet Britta Bogers seriell und generativ – ohne dabei jemals den Bereich des Analogen zu verlassen. So bedruckt sie etwa großformatige Papierbahnen mit Schablonen aus Gummi, Karton oder Holz; stets manuell,oft auf dem Boden, langsam und immer wieder „Fehlstellen“ innerhalb der selbstgestellten Reproduktionsregeln zulassend. Eine andere Werkgruppe besteht aus gleichsam standardisierten Tafeln (30 X 24 cm / 40 X 30 cm), die so präzise wie sparsam ausgeführte Embleme tragen. Aus diesem Repertoire entnahm die Künstlerin jene drei Motive, die sich nun in dem Werbezylinder bewegen und diesen ad absurdum führen.

Dafür hat Britta Bogers ihre kleinen, geometrischen Tafelgemälde erstmals vergrößert, reproduziert und sie zu Modulen umgedeutet. Während sie in der Nahsicht durchaus ihre malerische Raffinesse zeigen, funktionieren sie von Weitem als optische Konstellation – mit Appell an den (Glücks)Spieltrieb.

 

Doch in unmittelbarer Nähe zu den modularen Werken von Friedrich Kracht und Karl-Heinz Adler, letztlich auch innerhalb des (noch) originalen ostdeutschen Plattenbauensembles spannt sich hier ein zusätzlicher, assoziativer Bogen zwischen künstlerischen, sozialen und industriellen Impulsen. Denn so autonom Konkrete Kunst oder Konstruktivismus auch auftraten, so wenig sind sie ohne die zeitgleiche Entwicklung von seriellen Bauweisen und Fertigungsformen denkbar: „Serielle Produktionen wie serielle Ästhetiken gehören zum Signum der Moderne...Hinsichtlich Warenproduktion und Wissenschaft steht Serialität für Reproduktion, Fortschritt und Ökonomie, hinsichtlich künstlerisch-ästhetischer Verfahren hingegen für Variation.“ (Elke Bippus) Insofern hat Britta Bogers ein drehbares Memento für diese wechselseitige Faszination entwickelt.

 

Text: Susanne Altmann

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Januar - September 2021

Das Projekt #mustsee 1-8 wird im Rahmen des Programms NEUSTART KULTUR von der Stiftung Kunstfonds Bonn und der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen gefördert.

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