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#mustsee 7

 

Die Galerie Ursula Walter reagiert auf die Lage der derzeit unzugänglichen Kunsträume: Sie geht nach Draußen und bespielt mit dem Projekt #mustsee 1-8 eine nahegelegene Werbesäule. Seit Januar an dreh(t)en sich dort statt Reklamebotschaften die Werke von Künstlerinnen wie Käthe Kollwitz (feat. by Jochen Stankowski) Britta Bogers, Ulrike Grossarth, Mirjam Kroker...

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NEOZOON

13.7.-24.8.2021

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Neozoon: FragMants

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Vorspiel in spekulativer Anatomie

Mary Shelley (1797-1851) ging nicht ins unappetitliche Detail, als sie jenes künstliche Lebewesen beschrieb, das der Titelheld ihres Schauerrromans „Frankenstein“ (1818) erschaffen haben sollte. Erst spätere Fans, vornehmlich Filmschaffende, schlugen bildstark vor, die fragliche Kreatur sei -irgendwie- aus Leichenteilen konstruiert und anschließend mit elektrischen Impulsen erweckt worden. Soweit, so bizarr. Als sich, gut hundert Jahre später, die Pariser Surrealist*innen um André Breton langweilten, erfanden sie das Zeichenspiel „Cadavre Equis“ = „erlesener Leichnam“ und betätigten sich kollektiv als Konstrukteure oft anthropomorpher Wesen. Ähnlich wie von gruseligen kinematographischen Paraphrasen auf Frankensteins Unhold bekannt, setzten sich die gezeichneten „Leichname“ aus menschlichen Formen zusammen: Kopf, Hals, Rumpf, Unterleib, Beine, Füße – differenziert je nach Zahl der Teilnehmer*innen. Da diese, durch das Falten des Papiers, nichts von der Vorgängerzeichnung sahen, konnten sie sich schließlich an überraschenden Monsterfiguren erfreuen. Eine Frühform des Samplings war geboren.

 

Digital Dissection

Die Künstlerinnengruppe NEOZOON ist sowohl auf den Spuren von Shelley wie auch von Breton unterwegs, wobei sie sich völlig auf bereits existierende Bildwelten verlässt. Wenn momentan in der Drehsäule #mustsee7 drei offensichtliche „cadavres exquises“ rotieren, dann bestehen diese ausschliesslich aus Bildzitaten, die neozoon auf diversen Youtube-Kanälen im Überfluss findet. So genannte Influencer sind weltweit damit beschäftigt, Konsumgüter vorzustellen, zu bewerten und gern eine kurzlebige, geradezu erotische Beziehung dazu aufzubauen. NEOZOON hat bereits 2019 für die Videoinstallation „FragMants“ derlei Bewegtbilder im Gestus ständig wechselnder „cadavres exquises“ gesampelt und damit eine geradezu beängstigende Diagnose des aktuellen Produktwahns gestellt. Anlässlich von #mustsee7 haben sich die Künstlerinnen für eine statische Auskopplung aus diesem Themenkomplex entschieden – drei menschenähnliche Körper wurden jeweils aus Details von Youtube-Protagonisten zusammengebaut: Frankenstein im 21. Jahrhundert und ebenso beängstigend, zieht man die seltsame Gefühlswelt der Influencer nebst ihrer Gemeinde in Betracht. Noch beängstigender allerdings entlarvt sich hier die globale Produktion nutzloser Objekte – zu Lasten der Natur.

 

Liebe geht durch den Magen

Dabei kommt die Kritik am Warenkult und am globalen Raubbau, wie sie NEOZOON betreibt, völlig ohne didaktische Kommentare aus. Die cut&paste-Technik, surreal(listisch)e Kontraste, verstörende Soundteppiche und immer wieder (meist junge) Menschen, die ihre Fetische obsessiv berühren oder auch zerstören – all das beschreibt die Mission der Künstlerinnengruppe, die bereits seit 2009 besteht und zunächst mit Street Art-Projekten auftrat. Wenngleich bei „FragMants“ nicht dominant, ist es das Verhältnis zwischen Tier und Mensch, das NEOZOON (auch bei ihrer Namensgebung) beschäftigt. So erschufen sie 2010 für den gleichnamigen Film "Das Manteltier“, eine bewegliche Kreation aus alten Pelzmänteln, die, in einem Zoo inszeniert, für erhebliche Irritationen sorgte. Mit den drei Plakaten für #mustsee7 kehren sie gewissermaßen zu ihren Wurzeln in der öffentlichen Kunst zurück, bleiben aber ihrer digitalen Ressourcen und damit konsequentem (Bild)Recycling treu. Noch bis 22. August übrigens wird im Rahmen der Ausstellung „Future Food. Essen für die Welt von morgen“ am Hygiene-Museum Dresden die Arbeit „Love goes through the Stomach“ (2017) präsentiert – beginnend mit einer verstörende Einkaufsorgie im Supermarkt. Hier erwerben die wechselnden Shopper*innen tierische Produkte, die sie auf ihren Kanälen im trendigen Flüsterton (→ ASMR) abfeiern. Im Verlauf setzen NEOZOON erst niedliche Haustiere, dann Impressionen aus der Massentierhaltung dazu. Auch bei #mustsee7, „FragMants“ erscheint ein Verweis auf den entfesselten Fleischkonsum. Als makabres Suchspiel am „cadavre equis“ dürfen Betrachter*innen diese Referenz selbst entdecken. Mahlzeit!

Text: Susanne Altmann

 

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hier geht es zur Videoinstallation: FragMants

hier geht es zum Video: Das Manteltier

hier geht es zur Ausstellung des DHMD: Future Food

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Januar - September 2021

Das Projekt #mustsee 1-8 wird im Rahmen des Programms NEUSTART KULTUR von der Stiftung Kunstfonds Bonn und der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen gefördert.

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